Sonntag, 10. August 2008

Mein Vater

Mein Leben lang hat sich vermutlich schon abgezeichnet, dass das irgendwann Mal ein Thema werden könnte, aber ich habe jeden Gedanken daran, jedes Gefühl erfolgreich abgewehrt.

Ich habe nie etwas geSPÜRT im Zusammenhang mit meinem Vater. Weil er körperlich einfach nicht existent war. Mein Leben lang bin ich permanent von Menschen mit der Frage konfrontiert worden:
"Und wie ist das, wenn man keinen Vater hat? Vermisst du nicht was?"
"Nein", habe ich geantwortet.
"Ich weiß ja nicht mal, wie es ist, einen Vater zu haben - wie also sollte ich etwas vermissen, das man nicht kennt?"

Ich habe nie andere Kinder um ihre Väter beneidet, war nie böse auf den meinen, weil er nicht für mich da war und statt dessen geschieden von meiner Mutter und mit unbekanntem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten lebte. Oder traurig.
Ich fühlte - nichts.

Vor vier Jahren habe ich ihn dann gesucht, gefunden und in Amerika besucht. Ich dachte, dass es wichtig ist, meine Wurzeln kennenzulernen, wollte ihn einfach nur einmal kennenlernen, und den amerikanischen Teil meiner Familie natürlich auch. Wir fanden keinen Zugang zueinander, wenig bewegt, aber mit dem Gefühl, ein Kapitel abgeschlossen zu haben.

Was für ein Trugschluss.

Die letzten Jahre tauchte mein Vater immer wieder als Randfigur in diversen Aufstellungen etc. auf, Priorität bei meiner Vergangenheitsbewältigung hatte aber immer meine Mutter - einfach, weil sie in meinem Leben war!
Ein eigenes Thema war mein Vater nie.

Und jetzt beutelt es mich seit zehn Tagen kreuz und quer durch die Gegend, der verdrängte Schmerz von fast drei Jahrzehnten überkommt mich so heftig, dass ich mich manchmal stundenlang ins Bett zurückziehe und zusammengerollt wie ein Kind weine.

Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen, überall sehe ich nun die Anzeichen, die Hinweise, die darauf gedeutet haben, dass da ganz tief in mir noch etwas Übermächtiges, unglaublich Schmerzhaftes schlummert und ich erkenne, dass ich mich mein ganzes Leben lang vor diesem Schmerz geschützt habe, um weitermachen zu können:
Dem Schmerz des verlassenen Kindes.

Gerade haben mich wieder die verdrängten Gefühle wie eine Welle überrollt, ich habe wieder eine Stunde lang geweint. Mir die Angst herausgeweint und den übergroßen Wunsch, etwas "tun", etwas "verändern" zu können.

Am Sonntag, unmittelbar nach einem Gespräch mit dem Mann, der mich gerade verschmäht hat, begann ich, eine Mail an ihn zu schreiben - und plötzlich erkannte ich, nach welchem Muster ich funktioniere. Ich habe gemerkt, dass ich in der Mail ständig versuche, das "richtige" zu sagen, die "richtigen" Worte zu finden, um - ganz genau: Wie ein Holzhammer hat mich die Erkenntnis getroffen, dass ich die Mail nicht in erster Linie schreibe, um mich auszudrücken oder um meine Gefühle preiszugeben, sondern mit dem ganz unbewussten Wunsch und getrieben von der Hoffnung, doch noch etwas "verändern" zu können, ihm zu genau DER Einsicht zu verhelfen, die ihn bei mir bleiben lässt!! Es gibt ein Wort hierfür, das grauslig schmeckt, aber den Kern trifft: Manipulation.

Voll Entsetzen habe ich plötzlich gesehen, WAS ich die letzten zehn, fünfzehn Jahre alles getan habe, um Männer zu manipulieren, sie einzuwickeln - damit sie bei mir bleiben!!
Weil ich aber bei genau diesem einen nicht übergriffig sein möchte, ihn nicht manipulieren will, habe ich mich in besagter Mail darauf eingelassen, von meinen Gefühlen zu schreiben - und erst einmal hinzuspüren, WAS genau ich eigentlich fühle bzw. wovon ich unbewusst ablenken will, wenn ich mich in der Analyse von Situationen und hinter meinem Fachwissen verschanze.

Das Ergebnis:
Es macht mich traurig, dass du das, was zwischen uns war nicht für wert befindest, weiter wachsen zu lassen, weil es mir das Gefühl gibt, wertlos zu sein. Es frustriert mich, dass du lieber den alten Mustern Raum geben willst anstatt dem Neuen, weil ich mich dabei so klein und hilflos fühle.

Ich hab schreckliche Angst, dich loszulassen, weil ich so sehr fürchte, dass du nie mehr "zurückkommen" wirst, dass du dich mit all den Früchten, die du in einiger Zeit geerntet haben wirst, einer anderen Frau zuwendest, weil ich den Stempel "die will ich nicht" trage und du uns ohnehin keine Chance (mehr) einräumst.


Und genau da ging dann zum ersten Mal wirklich die Post ab!
Diese drei Sätze haben die so fest verriegelte Tür geöffnet, und mit aller Macht brach der dahinterliegende Schmerz des verlassenen, verzweifelten Mädchens durch! Unter Tränen habe ich gespürt, wie schlimm der Verlust war und wie sehr ich versucht habe, diesen Schmerz zu verdrängen, indem ich auf jeden Mann, der meinen Weg gekreuzt ist, früher oder später meinen Vater projizierte - um so meine Biographie umzuschreiben!

In der vergangenen Stunde kam die bislang heftigste Welle, ich hab sie durchtaucht... geweint... sprachlos vor Schmerz... fassungslos, was ich mir selbst alles angetan habe in all den Jahren, wie oft ich mich selbst verleugnet, aufgegeben, meine Bedürfnisse unterdrückt habe, mich verstellt und verraten habe, um "gefällig" zu sein und dadurch - vordergründig einen Mann - letztendlich aber doch immer meinen Vater am Gehen zu hindern...

Ich bin erschöpft jetzt.
Verkrieche mich zurück ins Bett, will die verletzte Kleine halten, endlich ihren Schmerz wahrnehmen - und vor allem ernst -, will ehrlich zu ihr sein und ihr die Wahrheit sagen - dass der Vater nie mehr kommen wird und dass sie seine Entscheidung nicht ändern kann. Aber auch, dass seine Entscheidung mit mit zu tun hatte. Und auch, dass er etwas verpasst hat, weil ich großartig bin ;-)

Ein Anfang, ein erster Schritt, vielleicht auch schon das Schlimmste hinter mir?
Auf jeden Fall zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels und ich fühle bereits, wie ich ein Stück mehr heil, ganz werde.

Ein Dank an dieser Stelle auch ihm, diesem einen, der dieses Muster in mir erneut hat zünden und mich endlich zum Kern hat durchstoßen lassen. Du bist geliebt von mir.

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